10. September 2018. Es gab ein böses Erwachen und den Bedarf eines selbst durchgeführten ambulanten Eingriffs, danach das beste Frühstück des Camino und Trail Magic mit einer schönen – gemeinsam mit Katrin – gelaufenen Etappe.
Es graute der Morgen und mir graute es auch – das Druckgefühl in meinem rechten Ohr hatte mich aus dem Schlaf gerissen. Irgendwie hatte sich mein Ohrstöpsel so tief in den Gehörgang geschoben, als wollte er mit meinem Kleinhirn kuscheln. Die anderen im Zimmer schliefen noch, das konnte ich zumindest noch mit meinem linken Ohr hören. Was tut man als Mann in dieser Situation? Klar, bevor man sich die Peinlichkeit erlaubt, jemand anderes zu bitten, der das Problem in wenigen Sekunden beseitigt, legt man(n) erst mal selbst Hand an. Oder vielmehr die kleine Pinzette aus meinem Schweizer Taschenmesser. Trotz zahlreicher Versuche bekamm ich das kleine Stück komprimierten Schaumstoffs nicht zu packen und etwas leichte Panik stieg auf, die das Pochen noch weiter verstärkte.
Also galt: erst mal Ruhe bewahren und überlegen. Es musste doch eine Lösung für dieses Problem existieren. Natürlich, da gab es ja noch die extrem spitze Zeckenzange aus meinem Erste-Hilfe-Set, mit der man sich so schön, bei mangelnder Sorgfalt, in den Gehörgang stechen konnte. Der Plan war also, mit beiden Greifern der Pinzette in den Stöpsel zu stechen, dann zusammendrücken und mit einer eleganten Drehung herausziehen. Also probierte ich, die geeignete Stellen zu finden, bei der ich keinen Stichschmerz empfand, aber trotzdem einen Widerstand überwinden musste. Kurzum, es dauerte etwa 10 Minuten, bis der Stopfen draußen und ich um eine unschön prickelnde Erfahrung reicher war.
Das Frühstück, das von den Hospitaleros bereitet wurde, entschädigte für alles Leid. Frisches selbstgebackenes Brot mit selbst erzeugter Marmelade und Honig waren das Ambrosia nicht nur für mein Ohr. Auch André war sehr zufrieden, obwohl es auch diesmal keine Croissants gab. Unseree Mitpilgerin Katrin gab uns die Empfehlung, noch mal ein Stück zurück zu laufen und dann auf dem Weg an der Küste zu gehen anstatt den offiziellen Camino de la Costa zu laufen.
So verließen wir relativ spät die Herberge schon im gleißenden Licht der Morgensonne, liefen an dem Klotz der Kraftsammlung des vorherigen Tages vorbei und fanden den weiß-rot markierten Weg. So sagten wir uns, „we do it the polish way!“.
Der Weg war zwar am Anfang nicht so leicht zu finden, lohnte sich aber auf jeden Fall, auch wegen der schönen Aussichten im Morgenlicht:
Außer uns waren auf diesem Weg keine Pilgerer unterwegs, wir trafen nur auf eine größere Gruppe von Geologie-Studenten, die sich an den Felsformationen ergötzten.
Auch der schönste Weg war einmal gegangen und wir sahen San Sebastian vor uns. Hier mussten wir einen extrem steilen Weg zur Stadt herunter steigen und trafen dabei auf die beiden US-Amerikaner, mit denen wir neben André das Zimmer und den Frühstückstisch geteilt hatten. Das Paar bestand aus Vater und Sohn, ersterer in den 70ern. Besonders der Vater sah schon sehr angeschlagen aus und sie gingen so langsam, dass wir sie schnell aus den Augen verloren. Ich hoffte, dass sie den Camino trotzdem irgendwie schaffen.
Wir liefen über die lange Strand-Promenade, an der Tribünen aufgebaut waren. Wahrscheinlich auch für eine Ruder-Regatta. Bald kamen wir zur Muschelbucht, die einen fast perfekten Halbkreis bildet. Dort machten wir Mittagspause und uns über das letzte verbliebene Schroer-Brot her. Einige der Spatzen von San Sebastian konnten es kurz darauf von den Dächern pfeifen, dass dieses Brot lecker ist, denn wir fütterten den gierigen Schwarm, der sich in unserer Nähe niederließ.
Die ganze Stadt schien sich irgendwie von der Regatta und dem dazu gehörigen Fest zu erholen, daher war wenig los und wir wollten auch wieder in die Natur. Daher zogen wir schnell weiter und fanden wieder schöne Ausblicke auf die Biskaya.
In Igueldo trafen wir Katrin wieder. Sie fotografierte gerade den berühmten Trail-Magic-Stand eines Pilgerfreundes, der für das angebotene Wasser und den Stempel kein Geld haben möchte, wie es ausdrücklich in mehreren Sprachen dort stand.
Ab hier zogen wir zusammen mit Katrin zu dritt weiter, auch wenn sie uns wiederholt freistellte, auch ohne sie schneller weiter zu ziehen. Wir hatten aber schon geplant, erst mal in Orio zu schauen, ob wir dann noch weiterziehen wollten und Orio war auch Katrins Ziel. Natürlich genossen wir die Gespräche mit ihr.
Der natürliche schmale Weg hielt weitere schöne Blicke auf den Atlantik bereit und wir trafen eine Kuh, mit wunderschönen puscheligen Ohren. Kurz darauf lauerte eine Quelle darauf, uns mit leckerem frischen und kühlen Wasser zu versorgen.
Wir begleiteten Katrin durch Dick und Dünn, über Höhen und Tiefen weiter nach Orio und uns wurde mit jedem Schritt bewusster, dass wir an diesem Tag auch nicht weiter laufen wollten. Die Etappe vom Vortag und das späte Starten forderte seinen Tribut.
So kamen wir an der Herberge in Orio an, diese sagte uns aber nicht sonderlich zu, obwohl wir später hörten, dass es dort ganz nett wäre. Vasek und ich hätten die letzten beiden Plätze in einem mit Stockbetten vollgestopften Raum bekommen. Katrin wollte ihr leichtes Zelt im Garten aufschlagen, dies wurde ihr aber nicht erlaubt, da der Garten nicht zur Herberge dazu gehörte.
Wir füllten, argwöhnisch beäugt von einer schwarzen Katze, unsere Wasserflaschen an einer Wasserstelle im Garten noch einmal auf und gingen weiter bis in den Ort Orio hinein, um dann weiter am Meer zum Campingplatz zu gelangen. Wir warteten an der Rezeption eine halbe Ewigkeit, bis dort ein Belgier ein Fahrzeugproblem mit Hilfe der Angestellten des Campingplatzes gelöst hatte, dann wies man uns die Platznummer 1 zu.
Während Katrin ihr Zelt quasi mit einem Wimpernschlag aufbaute, bastelten Vasek und ich etwas bemüht aus dem Tarp und den Wanderstöcken einen Starkwind-Aufbau zusammen.
Jetzt war es an der Zeit, ein erstes San Miguel zu zischen. Soweit ich mich erinnern kann, war es auch das letzte, wir sind dann noch zu anderen Biersorten gewechselt und hatten uns auch im weiteren Verlauf lieber anderen Marken zugwandt.
Kurz bevor es ganz dunkel wurde, hatten Vasek und Katrin noch kurz den Atlantik getestet, aber danach schlüpften wir dann doch recht schnell in die Schlafsäcke und ließen uns von den Geräuschen der Atlantikwellen in den Schlummer lullen.
Fazit des Tages: Trail-Magic kann auch das Erscheinen einer netten Reisebegleitung sein.
Willst du wissen, wie alles mit der Pilgerwanderung anfing? Hier ist der Bericht zur Anreise nach Irun. Wenn du wissen willst, wie wir nach Ulia gekommen sind, findest du hier den Artikel über unsere erste Wanderetappe.
Ein Gedanke zu “Camino de la Costa 04: Von Ulia bis Orio (18 km)”