25. September 2022: Es ist zwei Tage vor meinem Abflug nach Santander und der Weiterreise nach Nueva. Also genau vier Jahre, nachdem ich die erste Hälfte meines Camino gelaufen bin.
Zwei Jahre später als geplant
Am 27. September 2018 war ich das letzte Mal im Café Misaires in Nueva in Asturien, direkt am Camino de la costa, ungefähr in der Mitte zwischen Santander und Oviedo. Einen leckeren Café con leche gab es dort. Genau vier Jahre und einen Tag später möchte ich dort wieder sein, um meinen damalien Camino fortzusetzen. Das ganze hätte eigentlich schon viel früher starten sollen. Nachdem wir einen schönen Familienurlaub in der Nähe von Salzburg in Österreich 2019 verlebt hatten, bekam ich die Freigabe, im folgenden Jahr wieder auf den Jakobsweg zu gehen.
Also richtete ich mir am Anfang des Jahres in meinem Pilgerfieber einen Countdown auf einer Webseite ein und buchte ein Ticket bei der Lufthansa nach Santiago und zurück und das passende Busticket mit der Alsa nach Nueva. Doch so nach und nach setzte das Corona-Virus immer merklicher den Stift an, um ihn mir durch die Rechnung zu machen. Bislang wurde ich von einer Covid-19-Erkrankung verschont, aber in diesem Jahr war durch die Nachrichten aus Spanien klar, dass das nichts mehr werden würde.
Die Rest-Familie hatte zu der geplanten Pilgerzeit eine Fernreise mit einer ostasiatischen Fluggesellschaft geplant. Während ich mein Ticket bei der Lufthansa ohne Schwierigkeiten wieder zurücktauschen konnte (um Alsa habe ich mich nicht gekümmert) ging diese andere Reise mit einer Fachanwältin für Reiserecht vor Gericht und wurde auch gewonnen. Mit den Prozess- und Anwaltskosten hat die Fluggesellschaft neben der vollen Erstattung also noch kräftig draufgezahlt und wird auch von uns in unseren Reiseplanungen nicht mehr berücksichtigt werden.
So kauften wir uns eine Campingausrüstung zusammen, nährten uns redlich und blieben auf einem Campingplatz bei Diez an der Lahn im Lande. Mit drei Pfadfindern in der Familie klappte das Zeltleben direkt am Fluss recht gut, auch wenn es für uns im Prinzip schon zu viel Komfort und zu wenig Abenteuer war. Aber so hatten halt alle etwas davon, auch weil das Wetter gut mitspielte.
Im September 2020 gab es bei mir einen beruflichen Wechsel und eine der Themen bei meiner Einstellung war natürlich auch das Pilgern. Also speziell, dass mein Arbeitgeber sich nicht wundern solle, wenn ich mal einen längeren Urlaub am Stück beantragen würde. Das war aber so weit kein Thema und nicht nur deswegen bin ich mit meinem aktuellen Job sehr zufrieden.
Die Sprengkraft von TVT
Als frischgebackener „Bankster“ (ich bin dort allerdings als Teamleiter und „freies agiles Radikal“ in der IT beschäftigt) kam ich relativ früh an die Impfungen heran und konnte die ganze Zeit im Homeoffice arbeiten. Zum Ausgleich ging es dann in mein Haus-Mittelgebirge, den Taunus, um mir auf einer Handvoll Kilometern immer mal wieder die Beine zu vertreten. Leider auch einmal ungünstigerweise ins Unterholz und eine Vertreterin der parasitären Insektengattung der Zecken machte innige Bekanntschaft mit meiner unbedeckten Wade.
Die Stelle, in die sie sich verbissen hatte, entzündete sich und wollte nicht so recht abheilen. Kurze Zeit später wurde meine Wade härter und es wurde immer schmerzhafter, am Ende war es eine Qual sogar nur noch ein paar Meter zu laufen. Meine Hausärztin war zu der Zeit im Urlaub und bei der Gemeinschaftspraxis der Vertretung kam man erst nach einigen Terminen darauf, was wirklich mein Problem war. Der Zeckenbiss hatte nur davon abgelenkt, dass ich mir durch das falsche Sitzen im Homeoffice eine Tiefe Venenthrombose eingefangen hatte. Die Ultraschall-Untersuchung gab dann die Gewissheit.
Seit dem schlucke ich kleine Pillchen, die mein Blut so richtig in verflüssigte Wallung bringen und trage einen Kompressionsstrumpf am linken Bein. Leider sind meine Venenklappen immer noch nicht in der Lage, auf Druck das Gefäß so zu schließen, wie es sein soll, aber der kommende Camino soll dazu noch mal helfen, dieses Thema endgültig zu den Akten legen zu können. Im Jahr 2021 war aber an das Wandern auf dem Camino noch nicht zu denken, eine Probewanderung im Taunus musste ich vorzeitig als Häuflein Elend abbrechen.
Mit päbstlichem Segen
In diesem Jahr bekam ich die Aufgabe, ein Team aus einer Business Analystin, mehreren Entwicklern, Tester:innen und einem Product Owner zu leiten. Letzterer hört auf den schönen Familiennamen Pabst. Jetzt wo ich diese Zeilen schreibe, habe ich mich von dieser Interims-Aufgabe schon wieder verabschiedet und das Chapter an meine Kollegin zurückgegeben, die aus dem Mutterschutz zurückgekehrt ist. In den letzten Wochen haben wir natürlich auch darüber gesprochen, was ich alles im Chapter so „verbrochen“ habe und einigten uns darauf, dass ich auf dem Camino nun meine am Chapter begangenen „Sünden“ wieder loswerden könnte. Dies mit dem Segen meines Product Owners.
So schlimm können diese „Sünden“ auch nicht sein, denn man schenkte mir zum Abschied noch ein Paar Socken aus dem Pilgino-Shop und ein paar nussige Kalorien-Granaten. Von daher wird mich mein ehemaliger Chapter nun einige Tage auf Schritt und Tritt begleiten.
Reisegewicht reduzieren
Wandervögel denken ja gerne darüber nach, wie man das Packmaß und das Packgewicht der Ausrüstung reduzieren kann. Dies reicht dann zuweilen so weit, die Zahnbürste zu zersägen, um dann durch den Rückgriff allein auf die obere Hälfte ein paar Gramm noch einzusparen. Ich dachte etwas darüber nach und fand, dass dies nicht der richtige Ansatz wäre, um Gewicht von den belasteten Knien zu nehmen. Zwar wird gesagt, dass der Körper der Tempel des heiligen Geistes wäre und ich möchte hinzufügen, dass Tempel meistens schöne Kuppelbauten sind. Allerdings sollte lieber der Bauchansatz nun der Anknüpfungspunkt meiner Vorbereitung auf den Camino werden.
Durch Krafttraining und die Umstellung meiner Ernährung auf Low-Carb bei Verzicht auf Alkohol konnte ich mich aus der Adiposität lösen und fühle mich fit, nun den Jakobsweg zu gehen.
Hundemarke und andere Ausrüstung
Da ich weiter meine kleinen Blutverflüssiger nehmen muss, wurde mir geraten, einem Ersthelfer auch bei einem schweren Unfall schnelle Info zu geben, warum es denn gerade so aus mir heraussprudelt. Daher habe ich mir eine Hundemarke mit einem Erste-Hilfe-Symbol und Angaben zu meiner Medikation anfertigen lassen, die ich dann am Hals tragen werde.
Die Frage, ob ich mein mit einen tollen Kamera ausgestattetes Dienst-Smartphone mit Rückgriff auf meine beruflichen Emails mit nach Spanien nehmen sollte, beantwortete ich nach dem gründlichen Durchdenken mehrerer Millisekunden mit einem klaren Nein. Daher schaffte ich mir endlich ein privates Smartphone mit einer guten Kamera an, das mich nun begleiten wird. Dazu noch eine Smartwatch, mit der ich zusätzlich noch meinen Blutdruck zumindest grob im Blick halten kann.
Meine Zitronenpresse bleibt zu Hause. Also der wollene Pfadfinderhut mit flacher Krempe, der auf dem ersten Teil so gut wie nie getragen wurde und eigentlich nur eine Belastung war. Statt einem knallgelben Piraten-Bandana wird nun ein khakifarbener Anglerhut vom „Nordgesicht“ mein schütteres Haupt zieren.
2018 habe ich insgesamt zwei Nächte auf dem Camino unter meinem selbstgenähten Tarp geschlafen. Da ich an beiden Tagen für wenig Geld auch eine andere Alternative zu den besetzten Herbergen hätte finden können, bleibt es mit der Bodenplane und den Heringen aus meinem 3D-Drucker ebenfalls zurück. Das eingesparte Kilo wird nur zu einem kleinen Teil durch die Powerbank, die ich diesmal dabei haben werde, ausgeglichen. Von daher summieren sich hier weniger Körper- mit ebenfalls weniger Gepäckgewicht.
Was ich sonst noch mitnehme: Jay, Christel und Theo
Auf diesem Blog gibt es einen Werbebanner, der zu meinem Etsy-Shop verlinkt ist, mit dem ich individuell angepasste Camino-Schilder verkaufe. Und das mittlerweile weltweit. Eine meiner Kund:innen war eine Pastorin aus den USA, die in einem Hospitz arbeitet. Sie bestellte bei mir ein Schild mit der Aufschrift „Camino de Jay“ und erzählte mir, dass Jay ein todkranker Mann sei, der nicht mehr nach Spanien reisen konnte, aber total begeistert vom Camino de Santiago war. Also hat er begonnen, die Strecke von über 800 km von St. Jean Pied de Port bis nach Santiago de Compostella in seinem Garten zu laufen. Jeden Tag ein Stückchen, so viel eben geht. Ich habe ihr versprochen, dass ich in Santiago für ihn eine Kerze anzünden will und bekam eine Rückmeldung, dass ihm das sehr viel bedeuten würde.
Vor ein paar Wochen starben kurzaufeinander die beiden Schwiegereltern meines Bruders. Meinem kleinen Patenneffen ging das natürlich sehr nahe und wir haben darüber gesprochen, dass es eine Tradition für Pilger ist, einen Stein auf den Weg mitzunehmen, um ihn dann an einer geeigneten Stelle abzulegen. Daher wandert nun ein von Kinderhand bunt bemalter Stein im Rucksack mit, auch wenn ich nicht am Cruz de Ferro vorbei kommen werde. Vielleicht ist es mir vergönnt, den Stein in Finisterre abzulegen.
Gute Vorbereitung
Meine Ausrüstung ist mit Sicherheit nicht perfekt, beispielsweise nehme ich wieder einen warmen Kunstfaser-Schlafsack mit, der mir eine Komfortzone bis +5 Grad bietet. Mein selbstgenähter Poncho ist schwerer als vergleichbare Alternativen, dafür wartet er aber auch mit ein paar Extra-Features auf.
Streiten kann man auch darüber, ob es hohe Wanderstiefel sein müssen, aber ich habe mich mittlerweile sehr mit meinen orangefarbenen Meindl-Boots angefreundet, die nun gut in der Umgebung von Mainz-Kostheim eingelaufen sind.
Alles andere, wie etwa meine neue Stirnlampe, die für Herbergen wichtiges Rotlicht machen kann, wurde ebenfalls getestet und für gut befunden.
Von daher freue ich mich, dass es bald wieder losgeht und hoffe, dass ich es bis nach Santiago oder gar nach Finisterre schaffe. Im Moment macht mir ein leichtes Zwicken im Knie etwas Sorgen.
Mehr dazu soll es dann nach meiner Rückkehr Ende Oktober hier in diesem Blog geben.