8. September 2018. Über 1000 Kilometer quer durch Frankreich gefahren. Statt Eulen nach Athen trugen wir unfreiwillig ein Baguette nach Paris. Von der französischen Polizei wurden wir zuvor gleich an der Grenze als Pilgerer anerkannt.
Pünktlich um 5:30 Uhr klingelte am 8. September 2018 der Wecker. Wach war ich eigentlich schon ein paar Minuten eher – genauso wie Vasek, der unten auf der Schlafcouch im Wohnzimmer geschlafen hatte. Immerhin hatten wir es am Abend zuvor ruhig angehen lassen und uns ausschließlich jeweils eine Dose Oktoberfest-Bier vom Hofbräuhaus gegönnt. In den Tagen zuvor hatte ich schon so den ein oder anderen Gedanken daran verschwendet, wie man einem anspruchsvollen Tschechen einen leckeren Gerstensaft kredenzen könnte. So war es eine ziemliche Herausforderung, doch der Bazi-Trunk erfüllte souverän seinen Zweck.
So zogen wir in aller Herrgottsfrühe und frisch im Frühtau nicht zu Berge sondern gen Irun in die Pyrenäen. Dazu waren wir im PEUGEOT 5008 von Vasek unterwegs, seinem Firmenwagen, den er als Teamleiter eines Entwicklungsteams in einem der tschechischen Büros meiner Ex-Firma zur Verfügung gestellt bekommen hat. Daher war es eine günstige Möglichkeit, damit nach Irun und wieder zurück zu kommen.
Vasek heißt eigentlich laut Pass „Vaclav“, so wie der bekannte tschechische Ex-Präsident Havel, aber es wäre zu förmlich, ihn mit diesem Vornamen so anzusprechen. In Tschechien haben die Vornamen mehrere Varianten, die je nach sozialer Bindung zum Einsatz kommen.
Bevor wir aber auf die Autobahn fuhren, wollten wir uns erst mal mit Reiseproviant versorgen, also schnell noch im Dunkeln zur Fabrikfiliale von Schroer, einer Bäckereikette aus Mainz und Wiesbaden. Dort kauften wir uns etwas russischen Zupfkuchen und ein original französisches Baguette. Seit dem ich mal in meiner Studi-Zeit vor vielen Jahren in meiner WG in Bochum einen russischen Zupfkuchen gebacken hatte, hat dieses Gebäck etwas Besonderes für mich. Den damals erzielten Geschmack des Kuchens habe ich nie wieder erlebt, wir hatten allerdings auch die vom Rezept geforderten konventionellen Flüssigkeiten wie beispielsweise Milch zum größten Teil durch Vodka ersetzt und deshalb vorsichtshalber Feuer und offenes Licht in der Küche während des Backens verboten.
Kurz hinter der Deutsch-Französischen Grenze an der ersten Mautstelle sprang uns ein Polizist mit Maschinenpistole vor das Auto und sprach uns auf französisch an. Wir einigten uns aber relativ schnell auf die englische Sprache, die dann die weitere Kommunikation etwas einsilbigerer gestaltete. So fragte der Polizist nur „Passport?“ und „Where you go?“. Ich gab ihm meinen Personalausweis, Vasek verwies auf seinen Pass im Rucksack. So sagte ich betont cool: „We are pilgrims!“ und Vasek ergänzte: „… on the way to Santiago de Compostella …“ Mit einem recht sparsamen Blick gab mir der Polizist meinen Perso zurück, linste noch kurz auf den Rücksitz und die darauf befindliche Kiste mit tschechischen Äpfeln und sagte: „OK, go!“ Schade, dass wir an diesem Tag keine schwarzen Anzüge, Hüte und Sonnenbrillen trugen, aber durch diesen bluesbrotheresken Dialog musste ich noch eine längere Strecke durch Lothringen hindurch bis hinter Paris vor mich hin schmunzeln.
Paris? Ja, unser französisches Navi hatte offensichtlich Heimweh und führte uns an der Seine entlang, bis wir das Gebäude der UNESCO sahen. Immerhin ist der Camino ja auch ein Weltkulturerbe, das in diesem riesigen Komplex registriert ist. Aber eigentlich wollten wir uns nicht durch den Stadtverkehr der Metropole hindurchwuseln und justierten unsere Navigation mit zwei weiteren Smartphones neu und erfolgreich um.
Schon bald wurde es sehr langweilig. Lediglich unterbrochen durch Mautstellen fährt man zwischen Paris und Hendaye unter Beachtung des Tempolimits durch flaches Land, das von Landwirtschaft geprägt ist. Man sieht also dann und wann ein Bäuerchen auf dem Feld in seinem Traktor herumknattern. Wir malten uns zur Ablenkung aus, wie so zwei französische Bauern namens Pierre und François in dieser Einöde leben und führten diverse Dialoge in Frenglish. „Wie in Frohngze äff aur öhn Bombe Nükleäre!“
Endlich endlich endlich kamen vor dem Eintritt schlimmerer Stadien der Verblödung am Horizont die ersten Berge in Sicht. Spanien war nicht mehr fern! Dann kamen wir auch gleich in Irun an und suchten unter Umfahrung einer Straßensperre der Guardia Civil nach der Albuerge de Peregrinos laut meinem Reiseführer. Tatsächlich fanden wir direkt gegenüber einen Parkplatz und sahen dann im Hauseingang diesen Hinweis:
Also packten wir die Rucksäcke aus dem Auto und pilgerten mit klimpernden Jakobsmuscheln die wenigen Meter zur neuen Herberge, ohne uns den freundlichen Hinweisen einiger netter Anwohner erwehren zu können, wo sie sich denn nun aktuell befinde. Die erste leichte Steigung und die noch über 30 Grad Temperatur am späten Nachmittag in Irun ließ uns authentisch verschwitzt in der Herberge ankommen.
So freuten wir uns sehr über den ersten Stempel in unseren Pilgerausweisen und etwas weniger über den Hinweis, dass es in den Duschen kein warmes Wasser geben würde. Trotz dieses Ungemachs war die Herberge gut belegt und mir wurde eins der letzten Betten, genauer gesagt die obere Ebene eines sehr schmalen roten Hochbetts zugewiesen. Direkt am Fenster mit einem guten Überblick auf den nahen und gut genutzten Kreisverkehr. Da das Bett keinen Schutz gegen das seitliche Herausfallen bot, griff ich zu einem für Pilgerer wahrscheinlich ungewöhnlichen Ausrüstungsgegenstand, meinem Seil. Mit Palstek und Abspannknoten knüpfte ich mir fachmännisch eine Reling um das Bett.
Die Nacht war warm und laut. Das Gas, was in der Herberge für die Warmwasserbereitung fehlte, gaben die Auto- und Motorradfahrer beim Ausfahren aus dem Kreisverkehr um so mehr. Und das durch die ganze Nacht. Diese Geräuschkulisse fand natürlich ihre Untermalung durch schnarchende Pilgerer in unserem Raum. Meine Oropax mussten ihr Bestes geben und taten es dann schließlich auch. Das Schwanken des Bettes fantasierte ich mir in den nautischen Bereich, ich stellte mir einfach vor, in einem alten Segler nach Santiago zu fahren. So schlief ich dann endlich ein.
Fazit des Tages: Wir sind Pilgerer!
Willst du wissen, wie alles begann und woher meine Motivation kam, auf den Camino zu gehen? Hier gibt es den Prolog zur Pilgerreise. Und wie es weiter geht kannst du im Artikel unserer ersten Wander-Etappe von Irun nach Ulia lesen.
4 Gedanken zu “Camino de la Costa 02: Anreise nach Irun”