16. September 2024

Camino de la Costa 14: Von Güemes nach Boo de Pielagos (29 km)

20. September 2018. Wir bewundern einen Kamikaze-Angler, passieren die Zentrale der spanischen Bankster, klären das Mysterium der sieben Zwerge und genießen ein Stück des Camino in einem halbvollen Zug.

Zögerlicher Aufbruch in Güemes

Wie schon im vorherigen Bericht angesprochen, hatte ich an diesem Morgen zwar noch alle Latten am Zaun, aber nicht mehr alle in bester Steife im Bettenrost. Trotz gebrochenem Verhältnis in meiner Schlafstatt konnte ich gut und lange schlafen. Jetzt freute ich mich im Gegensatz zu Vasek, der auf seiner Paprika herumknabberte, auf das Frühstück mit den anderen Pilgerern.

Aufbruchstimmung in Güemes
Aufbruchstimmung in Güemes

Diese hatten schon den großen Speiseraum übervölkert und sich auch schon draußen auf den Bänken niedergelassen. In einem Eckchen bei einer Gruppe sehr junger Pilgerinnen konnte ich einen leckeren Kaffee, Baguette und Kekse genießen. Aber ich wollte Vasek nicht so lange warten lassen und sputete mich etwas.

Wir ließen noch ein paar Minuten das Gewusel der Pilgerer an der Herberge auf uns wirken. Mittendrin Ernesto mit einer großen Spiegel-Reflex-Kamera mit einem großen Objektiv. Seine Aktivität wechselte zwischen kurzen Gesprächen mit besten Wünschen und schnellen Schnappschüssen aus seinem Apparat.

Ein letzter Blick auf die Herberge in Güemes
Ein letzter Blick auf die Herberge in Güemes

Unser Aufbruch wirkte wie eine Art Pilger-Prozession, da natürlich alle zuvor die gleiche gute Wegempfehlung bekommen hatten.

Von Ernesto gut empfohlener Weg an der Küste

Wir liefen über kurvige Straßen auf und ab bis hinter Galizano, dann endlich kamen wir zur sehr beeindruckenden Steilküste, diese hatte zum Teil traumhaft schöne Kaskaden, auf denen der weiße Schaum der Brandung auf tiefblauem Wasser lag.

Eine Pilgerin steht Kopf wegen der schönen Aussicht
Eine Pilgerin steht Kopf – vielleicht wegen der schönen Aussicht?

Wir ließen uns auf diesem Stück des Camino sehr viel Zeit, die meisten anderen Pilgerer taten es ebenso, und so kam es immer wieder zu kurzen Begegnungen.

Auch unsere schon stark dezimierten Pfirsich-Vorräte fielen den appetitanregenden schönen Aussichtspunkte massiv zum Opfer, auch wenn sich noch das ein oder andere Früchtchen in den Tiefen des Rucksacks vergeblich zu verstecken suchte.

Blick auf die abgestufte Stilküste
Blick auf die abgestufte Stilküste

Wenig später sahen wir an einer Stelle mit sehr schaumiger Brandung einen Fischer mit Todesverachtung auf einer Schräge oberhalb der Linie stehen, die noch von der anschlagenden Gischt erreicht wurde. Seelenruhig hielt er seine Angel in das kochend wirkende Wasser und ließ sich von dem Krachen der Wellen nicht beirren. Ich persönlich konnte mir nicht vorstellen, überhaupt in die Nähe dieses Platzes zu gehen.

Ein Angler im Hexenkessel
Ein Angler im Hexenkessel

Den gesamten Camino über hatte ich darauf geachtet, einen Pilgerer aus Tschechien zu treffen. An diesem Tag trafen wir zumindest auf eine Gruppe von Surfern aus der Tschechischen Republik. Aber beide Seiten waren an einem Gespräch, das über ein „Ahoj“ hinaus ging, nicht interessiert.

Felsenstrand bei Loredo
Felsenstrand bei Loredo

Ab dem Campingplatz in Loredo wollten wir nicht mehr auf dem offiziellen Weg bleiben. Uns stand der Sinn nach einem Shopping-Erlebnis in einem örtlichen Supermarkt in Somo, um der malträtierten Muskulatur mit einem kühlen Trinkjoghurt ausreichend proteinhaltige Labung zu bieten. In Somo warteten wir nur kurz am Anleger auf die Fähre und bestiegen diese mit ein paar Pilgerern, die wir vom Sehen her kannten.

Mit Piratenbandana entert der Autor die Fähre nach Santander
Mit Piratenbandana entert der Autor die Fähre nach Santander

Nur kurz und schnell durch Santander

Wir hatten von der Fähre einen schönen Blick auf Santander, die Stadt war allerdings beim näheren Hinsehen nicht so interessant. Beeindruckend war lediglich das Gebäude der Banco de Santander, daneben eher zierlich und verloren eine Filiale der Deutschen Bank.

Die Banco de Santander
Die Banco de Santander

Uns stand nicht der Sinn, an dem Hort der spanischen Bankster zu verweilen, sondern wir gingen gleich weiter durch den Park Jardines de Pereda. Hier kamen wir hinter dem Denkmal von Cervantes an einem schönen Karussel vorbei, mit dem aber zu dieser Siesta-Zeit niemand fuhr.

Das Cervantes-Denkmal im Jardines de Pereda
Im forschen Schritt vorbei am Cervantes-Denkmal im Jardines de Pereda

Die Stadt selbst ist kaum einer Erwähnung wert, so unsere in den lauten Straßenschluchten gebildete Meinung. Es gab nur spektakuläre Begegnungen, etwa dass wir zwischendurch zwei italienische Mädels, die eine davon mit der Mussolini-Fleppe, in einem Burger-King essen sahen und trafen Sarah, ebenfalls aus Italien. Die feuerrot gelockte Pilgerin war schon jenseits der Fünfzig und ließ den Camino etwas ruhiger angehen als wir. Sie schämte sich ein wenig über ihre Landsfrauen, die sie auch in dem Burgerbrater gesehen hatte.

Durch den erfolgreichen Erwerb von Mineralwasser in Laredo zwei Tage zuvor war ich bei der Wahl meines Standard-Pilgergetränks schon etwas verweichlicht und kaufte mir in einem am Wege gelegenen Supermarkt eine Flasche des kalorienfreien Nasses und brachte Vasek in einem Anflug von gelebter Pilgerpartnerschaft unverlangt eine Vorteilspackung seiner geliebten Snickers mit.

Auf dem Weg durch Santander
Auf dem Weg durch Santander

Wie ich also wieder auf den Camino trat, war Vasek schon in ein Gespräch mit einem deutschen Pilgerer der Bauart „Hüne“. Der junge Mann, der sich für eine Besetzung eines Wickingerfilms als Komparse mehr als eignete, war mit schwerem Rucksack und Zelt unterwegs. Wir hatten nicht viel Zeit, um mehr von seinen Geheimnissen zu erfahren, denn wir verloren ihn wenig später bei einer Snickers Pause (die Riegel hatten sogar noch ihre originäre Form!), als er wenig entfernt von uns in einem Park liegend einschlief. Aber er hatte auch noch überhaupt keine Planungen angestellt.

In Santander ist der Camino häufig so markiert
In Santander ist der Camino häufig so markiert

Sarah war während meines Kaufrausches schon an uns vorbeigerauscht. Wir trafen sie schon außerhalb der Innenstadt wieder in einer Bar, in der ein Girlie-Teen einigermaßen lustlos und unterfordert arbeitete und dabei Big Bang Theory auf Spanisch schaute. Obwohl sie aus dem Lande der meist bekannten Kaffeespezialitäten stammte, stimmte Sarah mit mir in der positiven Bewertung des Café con Leche auch in dieser Lokalität überein. Die Bar versuchte nicht ganz unerfolgreich Pilgerer dadurch anzulocken, dass alte Pilgerstäbe und Rucksäcke außen an einem Zaun angebracht waren.

Neue tiefe Einsichten über ein deutsches Märchen

Eine Gruppe venezoelanischer Pilgerer kam vorbei und sie dachten zuerst, die Bar wäre eine Herberge. Sie bemerkten aber bald ihren Faux-pas und zogen kichernd weiter und vertieften weiter ihren angestrengt geführten Dialog.

Wir trafen sie kurze Zeit später wieder als sie anscheinend in ihrer Diskussion an einem toten Punkt angelangt waren, denn sie fragten uns um unsere Expertise zu einer wichtigen strittigen Frage.

Sie wollten von uns und speziell mir wissen, ob die Sieben Zwerge echte Menschen wären. Ich antwortete, wenn es sich um Menschen handele, dann eben kleine grimmige Deutsche, da es ja hier um ein deutsches Märchen ginge. Die englischsprachige Wortführerin übersetzte das auf Spanisch und die Gruppe brach in schallendes Gelächter aus. So motiviert gab ich meinem amüsierten Publikum noch mit auf den Weg, dass es in Deutschland ja das Siebengebirge gäbe und wenn man von Köln aus über diese Berge ginge, dann in den Westerwald kommen würde. Also wären die sieben Zwerge wohl kleinwüchsige Westerwälder mit schlechter Laune.

Es war kein Platz in der Herberge

Vor dem Hintergrund dieser Begebenheit wirkte der weitere Weg nach Benzana zur privaten Herberge noch trostloser, es führte uns der Camino durch eine Art Niemandsland an einer Bahnstrecke, an der im Wesentlichen viel Unrat und ein paar kleine Häuser lagen.

Die Herberge in Benzana lag in der Nähe eines großen Einkaufszentrums und einer viel befahrenen Straße. Wir freuten uns schon auf ein weiteres Einkaufserlebnis und eine gemütliche Nacht in der gerühmten Albuerge, aber sie war leider schon belegt. Aber die überaus freundliche Hospitalera reservierte Vasek und mir telefonisch zwei Betten in Boo de Pielagos. Sie ließ uns so lange Pause in der Herberge machen wie wir wollten, kredenzte uns kühle Getränke und wir konnten auch unser Wasser auffüllen. Dabei konnten wir sehen, wie gemütlich und schön dieses Haus war.

Wir waren zu kaputt, um noch einmal 5 km bis nach Boo de Pielagos zu laufen und gingen auch auf Anraten der Hospitalera zum Bahnhof. Als Strafe für unseren Pilgerfrevel fuhr uns der Zug vor der Nase weg, weil wir die nicht übersetzten Knöpfe auf dem Automaten nicht interpretieren konnten und langwierig über Probieren herausfinden mussten, wie wir an ein gültiges Ticket kommen konnten.

Wir warteten lange auf den richtigen Zug. Als er endlich kam, fiel mir beim Einsteigen ein, dass ich meinen Wanderstock neben den Automaten gestellt hatte. Meinen anderen hatte ich an Vasek verliehen. So kam ich nicht mehr an ihn heran, ein weiteres Stück verlorener Ausrüstung. Vasek gab mir den anderen zurück.

Das Warten lohnte sich

Doch am Ende wurde alles wieder gut. Auf uns wartete eine wunderschöne Herberge mit einem guten Abendessen inklusive einem guten Wein. Wir trafen ein nettes Radpilgerer-Paar aus Schottland, die beide nicht mit ihrem schönen schottischen Akzent geizten.

Die Herberge in Boo de Pielagos
Die Herberge in Boo de Pielagos

Beim Nachtisch kam ich kurz mit einer jungen Pilgerin aus Aschaffenburg ins Gespräch. Sie sah mich durch die Herberge humpeln und gab mir den Rat, dies nicht so auf dem Camino zu tun, weil ich sonst noch schlimmere Probleme bekommen würde. Sie bat mich eindringlich, mich besser um meine Füße zu kümmern. Diesem Ansinnen kam ich in dem kleinen gemütlichen Bad nach. In meiner diagnostischen Einschätzung der Situation meiner Füße kam ich zu dem Schluss, dass die Zugfahrt doch eine gute Idee gewesen war. Viel konnte ich allerdings in dieser Situation nicht machen als unter sterilen Bedingungen die Blasen zu öffnen und kräftig einzucremen.

Ich wusste schon, dass der nächste Tag eine leidhafte Erfahrung werden würde und ich nahm mir noch mal vor, nicht zu humpeln und konsequent richtig zu laufen, egal wie weh das tun würde.

Fazit des Tages: Warten wird schwierig, wenn man selbst ständig unterwegs ist.

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