13. November 2024

Camino de la Costa 10: Von Bilbao nach Pobeña (22 km)

16. September 2018. Die unheimliche Begegnung mit dem Kicher-Koreaner nah bei der Riesenspinne. Wir gleiten auf Kruppstahl und ziehen von Bar zu Bar.

Die Nacht in dem stickigen Raum schenkte uns nicht sonderlich viel Erholung. Einige der jüngeren und durchaus attraktiven Pilgerinnen und Pilger produzierten auch ordentliche Aufbruchgeräusche. Die allgemeine Laune entsprach der Situation dieser Kammer – dicke Luft. Wir ließen uns Zeit mit dem Abmarsch, um dem allgemeinen Trubel zu entgehen. Außerdem waren wir noch ziemlich angeschlagen. Es war wieder so ein Moment, bei dem man sich wie gerädert zum Badezimmer schleppt und der letzte Rest Fantasie nicht ausreicht, sich vorzustellen, dass man auch heute etliche Kilometer bergauf und -ab laufen wird. Dann schnürt man sich einfach die klammen Wanderschuhe ums schmerzende Geläuf, packt sich seine gefühlte Backsteinsammlung auf den Rücken und zieht los. Das erste „Buen Camino“ erwidert man schon wieder mit einem Lächeln. Sogar ohne den ersten Kaffee des Tages schon inhaliert zu haben. Oder nicht?

Die morgendliche Frische schlug uns entgegen, als wir die Herberge verließen und die quitschbunte Jesus-Statue davor passierten. Es ging steil nach unten durch das Viertel, in dem der Platz mit den vielen Pintxos-Bars war. Die Straßen und Plätze waren noch übersät mit dem Unrat der vergangenen Nacht, der nun von den Putzkolonnen beseitigt wurde.

Am Nervión entlang zum Guggenheim Museum
Am Nervión entlang zum Guggenheim Museum

So war es schon eine Herausforderung, weiter zum Guggenheim-Museum zu kommen, ohne von den mit schweren Wassertanks versehenen Reinigungsfahrzeugen in den Nervión gespült zu werden. Schließlich sahen wir, wie sich das Morgenlicht in der silbrigen Fassade des spektakulären Gebäudes spiegelte.

Am Guggenheim Museum
Am Guggenheim Museum

Natürlich unterquerten wir die große schwarze Spinne und bewunderten die einzigartige Architektur. Also ließen wir uns in einem kleinen Park an dem Gebäude nieder und genossen sowohl dieses als auch unser fruchtiges und keksiges Frühstück.

Wie aus dem Nichts tauchte der Kicher-Koreaner plötzlich aus der Sonne auf, stimmte frohgelaunt den Weg nach Potugalete mit uns ab und ging seiner Wege. Wir schauten uns grinsend an, tauschten uns kurz über ihn aus, wandten den Blick zu ihm und er war – weg. So spekulierten wir lange und intensiv darüber, auch in den nächsten Tagen, ob er eine übernatürliche Person sei, die mit einem „WUPP“ erscheinen und wieder verschwinden könne. Erwartet hatten wir dieses den ganzen weiteren Verlauf unserer Reise, aber leider kam es nicht dazu.

Frühstück im Park neben dem Guggenheim Museum
Frühstück im Park neben dem Guggenheim Museum

Nach solch einer esoterischen Erfahrung ging es weiter auf der rechten Flussseite in Richtung Getxo. Der ausschließlich asphaltierte Weg zog sich hin, viele Industriebrachen und andere wenig attraktive Dinge säumten die weitere Strecke, auf der wir weitere Pilgerer trafen, die das ebenfalls schnell hinter sich bringen wollten.

Bei einer kurzen Rast fand Stijn eine spanische ID-Karte einer jungen Frau aus Bilbao. Er wollte sie bei einer Polizeistation abgeben. Vasek und ich malten uns schon aus, dass es sich um ein Mordopfer handeln musste, deren Leiche man schon aus dem Fluss gefischt hatte. Mit seinem nicht ganz perfekten Spanisch würde sich dann Stijn in einem verrauchten Kellerraum in Widersprüche verwickeln und tagelang auf „robuste“ Weise verhört werden.

Doch es kam nicht dazu. Mangels Polizeistation in der Nähe gab Stijn den Ausweis an einer Tankstelle ab.

Später kamen wir an einer übel vermüllten Sackgasse vorbei, in der Menschen ähnlichen Alters wie das Mädel auf der Karte dem gemeinschaftlichen Konsum bewusstseinserweiternder Substanzen frönten und sich dabei an aufgemotzte Fahrzeuge lehnten.

Immer entlang dieser Straße bis nach Getxo
Immer entlang dieser Straße bis nach Getxo

Endlich sahen wir das Ortsschild von Getxo und Portugalete auf der gegenüber liegenden Seite. Von dort wehten Wort- und Musikfetzen aus Lautsprechern zu uns herüber. In Portugalete fand ein Bootsrennen statt, wir konnten es später im Fernsehen beim Café con Leche sehen.

Doch zunächst galt es, über den Fluss zu kommen. Wir setzten mit der Hängefähre über (es war im wahrsten Sinne des Wortes eine echte Hängepartie …). Während der Fahrt zog ein Ruderboot bei einem Warm-Up in voller Fahrt fast unter uns durch.

Eine kurze Hängepartie nach Portugalete
Ein Schweben nach Portugalete

Statt durch das Volksfest am Ufer fanden wir unseren Spaß mit den Freiluftrolltreppen aus hartem deutschem Stahl. Die zu überwindende Steigung war eher Pillepalle im Vergleich zu anderen Wegabschnitten des Camino, aber wir nahmen es trotzdem dankbar an.

Auf deutschem Kruppstahl glitten wir durch Portugalete
Auf Kruppstahl glitten wir durch Portugalete

Der Weg nach Pobeña zog sich etwas hin, anders als im Reiseführer dargestellt war, trennt sich der Camino in zwei Routen, einmal durch Ortuella, einmal rechts daran vorbei. Wir nahmen die Umgehung und kamen so unter anderem in den Genuss, eine junge Mutter bei ihrem Workout beobachten zu können, während das Baby vom Smartphone unterhalten wurde. Wir bedienten uns unterdessen vom mitgeschleppten Obstbuffet.

Auf dem Weg durch die Hügel nach La Arena begegneten wir einem weiteren jungen deutschen Pärchen Anfang 20. Sie befanden sich auf ihrer allerersten Etappe und hatten sich schon zuvor etwas verlaufen gehabt. Andächtig lauschten sie uns alten Pilger-Veteranen, als wir erzählten, woher wir aufgebrochen waren und wie unsagbar steil die bisherigen Berge waren.

In den Hügeln vor La Arena
In den Hügeln vor La Arena

Wir kamen auf den letzten Kilometern nach La Arena an einer Reihe schöner Gärten vorbei, in denen es sich so manche Familie gut gehen ließ. Es war für uns richtig gut, so langsam wieder das Rauschen der Wellen zu hören und die salzige Seeluft zu riechen und schließlich sahen wir einen Strand mit viel Touri-Rummel und großen Verkaufsständen für billig aussehende Schuhe.

Der weitläufige Strand von La Arena
Der weitläufige Strand von La Arena

Auch die im Ort befindliche Skull Bar mit großem Totenkopf ignorierten wir und liefen den Strand entlang auf eine Holzbrücke zu, auf der wir einen deutschen Pilgerer trafen, der in der Herberge in Pobeña schon abgestiegen war. Er ging noch mal ans Meer.

Wir gingen weiter zum Einchecken in die Herberge in Pobeña. Noch nicht zu spät, aber wir waren fast die letzten, die noch aufgenommen wurden.

Ich versuchte noch, dem muffeligen Hospitalero zu sagen, dass wenn jemand mein Bett brauchen würde, dann könnte ich im Garten mein Tarp aufstellen, aber das kam nicht so recht bei ihm durch. So beließ ich es beim Schulterzucken und kümmerte mich um Körper- und Wäschepflege.

Die Betten waren wie Mittelfeld und Verteidigung der Squadra Azzurra, der italienischen Fußball-Natonalmannschaft – eng und kompakt aufgestellt. Lediglich leichte Schlingpflanzengatter unterbanden mehr oder weniger das nächtliche Umschlingen des Bettnachbarn.

Im Gegensatz zum gelben Führer gab es keine Wäscheschleuder. Außerdem hatte eine deutsche Gruppe der Generation Y – ich nannte sie später „Deutsche Mafia“ – die Waschmaschine für sich in Beschlag genommen. Diese Gruppe hatten wir kurz vor Getaria schon gesehen. Mir gab es zumindest ein Gefühl der Genugtuung, dass der hipsterbärtige Wortführer der Gruppe, dessen Gesicht man durchaus mit dem Präfix „Sack-“ versehen konnte, etwas Knatsch mit seiner Freundin hatte und sie ihn auf Abstand hielt. Für mich waren es die unsympathischsten Pilgerer, die ich bislang auf dem Camino traf.

Kompakt gestelltes Schlafmobiliar in der Herberge
Kompakt gestelltes Schlafmobiliar in der Herberge

Vasek hatte schon den ganzen Tag mit Schmerzen zu kämpfen gehabt, bei mir tauchten zum ersten Mal Blasen auf. So war unsere Laune alles in allem an diesem Abend eher bescheiden. Wir bekämpften dies mit dem Besuch aller (!) Bars von Pobeña, zwischen den Kaltgetränken hier und da nahmen wir ein Pilgermenü.

So kam es zu tiefgehenden Gesprächen mit Stijn über die bisherigen Erlebnisse und Personen, diese teilten wir in Mangos, Kokosnüsse oder Melonen ein.

Bezogen auf Freunde sind Mangos nette und freundliche Menschen, die dich leicht an sich heran lassen. Aber man kommt bei ihnen nur bis zu einer bestimmten Tiefe. Der Kern bleibt verschlossen. Kokosnüsse sind dagegen nach außen hin schroff und borstig, aber wenn man durch die harte Schale durch ist, dann offenbaren sie sich voll und ganz. Unser Ideal war die Melone, die nach außen und tief innen freundlich ist, sich aber den ein oder anderen harten Kern bewahrt.

Zurück in der Herberge etablierte sich ab dann ein allabendliches Ritual, die podologische Eigenbehandlung in Form des Aufstechens meiner Blasen mit einer in Sterillium desinfizierten Sicherheitsnadel.

Stijn und Vasek setzten ihr Gespräch draußen vor der Tür fort und waren am Ende ausgesperrt. Da ich aber am Tische des Hospitaleros in mein Tagebuch schrieb, konnte ich auf ihr Pochen hin die schwere Pforte öffnen.

Fazit des Tages: Freunde sind Mangos, Kokosnüsse oder Melonen.

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