15. September 2018. Abschied von Hannah, Monte Avril rauf und runter, ein Mann ohne Biss am Brunnen und eine Nacht in der Käsekammer
An diesem Tag war ich relativ früh wach, wollte aber die anderen in unserem vollgepackten Zimmer nicht wecken. Schließlich lockte aber doch das Frühstück auf der Terasse. Das Angebot zum Verfrühstücken bestand im wesentlichen aus zuckrigen Cerealien und Milch, daneben noch Weißbrotscheiben und Brötchen, die auf einem offenen Röstautomaten – jeder deutsche Brandschutzbeauftragte hätte hier seine helle Freude daran gehabt – ihrer Pappigkeit entledigt werden sollten
Ich war im Prinzip der erste, der 7 Weinfreunde des voran gegangenen Abends, aber ich war auch fast der letzte, der ins Zimmer zurückkehrte, um meine Sachen zu packen. Zwischendrin ergaben sich noch Gespräche mit Hannah und unserem Bekannten aus Katalonien, der sein knappes Frühstück aus einer puren Brötchenhälfte mit einem schwarzen Kaffee und einer selbst gedrehten Zigarette abrundete.
Es war mal wieder einer dieser Tage, an denen ich mit dem Packen meines Rucksacks nicht so recht klar kam. Die heutige Etappe sollte relativ fordernd werden und ich optimierte hin und her, bis ich endlich als einer der letzten aus der Jugendherberge heraustrat und dort auf die Wartenden, genauer auf Hannah, Stijn und Vasek traf. Ich war wirklich dankbar, dass wir heute zu viert weiter ziehen konnten, wobei Hannah schon angekündigt hatte, dass sie den Weg nicht bis Bilbao machen mochte, da Ihre AirBnB-Unterkunft erst am kommenden Tag bezogen werden konnte. Sie wollte dann von Bilbao zurück nach Hause. Es stand uns also ein Abschied bevor.
Die beiden Australier waren schon voraus gegangen, wir sollten sie dann auch nicht mehr wieder treffen. Die beiden wollten sich auch Bilbao genauer anschauen.
Innerhalb von Gernika war der Camino zunächst wegen unserer fehlgeschlagenen Suche nach der Sommerherberge bereits bekanntes Terrain. Dies änderte sich aber schnell, als wir den Park mit dem berühmten Rest Eiche passierten, in den sich schon am Morgen mehrere Busladungen von Touristen entleert hatten. Schon kurz nach der Ortsgrenze sahen wir wieder frisches Grün.
Diese Etappe war auffällig stark belebt, so passierten wir eine größere Gruppe amerikanischer Pilgerer. Einer von ihnen benutzte eine Art Zugkarre, wobei die Griffe an einem Tragegeschirr befestigt waren. An sich sicher praktisch, aber in dem urwüchsigen Waldstück hatte der Besitzer mit den Wurzeln und Steinen auf dem Weg ordentlich zu kämpfen.
Eine erste Rast machten wir an einer Wasserstelle an einem Bauernhof und konnten im Schatten eines Traktors neue Kraft schöpfen.
Auf diesem Stück des Camino gab es auch einzelne Stände in den Einfahrten von Garagen und den Wegen zu den anliegenden Häusern. Hier wurden verschiedene Leckereien, wie beispielsweise Melonenstücke, feilgeboten. Wir verzichteten ebenso wie eine sehr große französische und redefreudige Pilgergruppe, an denen wir uns nach und nach vorbei kämpften. Kurze Zeit später trafen wir dann auf das spanische Pärchen aus unserem Zimmer in Gernika, aber deren Englisch und/oder Redebedürfnis war nicht so recht groß.
Es kamen steile An- und Abstiege bei zunehmenden Knieproblemen meinerseits, ich war froh, die Stöcke dabei zu haben, um damit beim Abstieg Gewicht von den Knien abzufangen..
In Larrabetzu wurde es höchste Zeit für einen leckeren Café con Leche und Pintxos in einer sehr dunklen Bar. Der Ort war sehr schön, einige Bars drappierten sich um einen Dorfplatz.
Von dort war es nicht mehr weit bis Lezama, hier hieß es Abschied von Hannah zu nehmen und wir knuddelten uns noch einmal. Sie ging weiter zu der dortigen Herberge, in der sie laut späterer Info nicht sonderlich zufrieden war.
Weiter westlich in dem Ort gab es ein Volksfest mit zahlreiche Bühnen, Freßständen und großen Figuren in traditioneller Tracht. Hier konnten wir uns den Gelüsten, die von einem Eiswagen ausgingen, nicht erwehren. Das Fest nahmen wir nur am Rande war, wir hatten noch einige Anstiege vor uns und der Tag war schon fortgeschritten.
Also schnell weiter an den Ortsrand. Aber so eilig wie ein rasanter Autofahrer hatten wir es nicht, der mit überhöhter Geschwindigkeit in einen Kreisverkehr hinein schnitt und ein lautes Krachen produzierte. Anders als zunächst befürchtet, ging der Autounfall eher glimpflich aus, der Wagen war gegen eine Sperre geprallt, die wegen des Festes dort aufgestellt war.
Wir nahmen es locker, hier nicht als Unfallzeuge dienen oder gar abgetrennte Gliedmaßen aufsammeln zu müssen und stapften durch ein kleines Gewerbegebiet mit Blick auf den nächsten Höhenzug, der wie eine Wand vor uns wirkte. Wir machten in einem kleinen Wäldchen eine Pause, um volle Peach-Power aus den leckeren weißen spanischen Pfirsichen zu ziehen.
Schon bald nahmen wir immer mehr den zunehmenden Flugverkehr war, den ich ja von zu Hause her kannte, abet nicht wirklich vermisst hatte. Und bald kam in der Ferne der Flughafen in den Blick.
Zunächst dachten wir beim Anblick des Airports, wir wären bald in der Stadt, aber diese Hoffnung trog, denn noch stand ein harter Aufstieg zum Monte Avril bevor.
Noch relativ am Anfang trafen wir einen kleinen korpulenten Engländer, gekleidet in lila Wurstpelle. Er erinnerte so in seiner Aufmachung ein klein wenig an Dirk Bach. Er saß am Wegesrand und machte eine Pause. Unsere Unterstützung lehnte er sehr höflich ab.
Oben auf dem Berg angekommen fanden wir ein interessantes Naherholungsgebiet mit Grillplätzen vor, aber die Wasserstelle war nicht mehr aktiv. Hier ruhten wir trotzdem kurz aus und beschlossen, uns eine Bleibe zu reservieren.
Laut der Informationen, die Stijn unter anderem bei der Touristeninfo recherchierte, war in Bilbao nichts mehr frei. Er versuchte daher in gebrochenem Spanisch, eine Pension außerhalb der Stadt zu buchen. Dabei verwendete er wieder und wieder die drei Worte „Tres personas vamos!“, bis er sicher war, dass die Hospitalera unsere Ankunft erwartete. Trotz gemeinsam durchlittener Schmerzen in Fuß und Knie feixten Vasek und ich uns an.
„Tres personas vamos!“ wurde zu unserem Motivationsruf auf dem Abstieg zur Stadt.
Am Rande der Stadt fanden wir in einem kleinen Park endlich eine Wasserstelle. Während ich meine Flaschen auffüllte, wusch ein älterer Mann direkt neben mir seine „Dritten“ – lecker!
Passend dazu mussten wir wegen der einsetzenden Dämmerung mehr als nur einen Zahn zuzulegen und hatten für die Sehenswürdigkeiten von Bilbao, wie etwa der St. Jakob Kathedrale kaum einen Blick übrig.
Plötzlich und unerwartet tauchte vor unserem müden Auge ein Schild „Albuerge de Peregrinos“ auf. Es befand sich an der Wand eines eher kleinen Kirchengebäudes, ziemlich am Hang gelegen mit Blick auf die Stadt.
Das Einchecken ging in der kleinen Herberge sehr gemächlich voran, aber wir mussten uns auch erst mal entschleunigen und waren froh, die Nacht in Bilbao verbringen zu können. Der schon ältere Hospitalero nahm die Stempel unter die Lupe und zeigte auf ein paar, die er wohl schon kannte.
Endlich konnten wir unsere Betten in dem einen regulären Schlafraum beziehen. Später wurden noch weitere Pilgerer in dem zweiten Raum untergebracht, der als Küche, Aufenthaltsraum und Abstellkammer diente.
Während wir unsere Schlafsäcke ausbreiteten checkte ein junges Mädel aus Deutschland ein. Sie schien recht gut Spanisch zu sprechen. Später kam sie in unseren Raum und stellte sich als Maria vor. Sie sagte, sie könne gar kein Spanisch, sie versuche es immer mit Italienisch, dabei würde sie am Ende ein „O“ anhängen.
Mit diesem für Stijn wenig hilfreichen Tip machte er sich an den Stornieranruf zur Pension. Er gipfelte in den Worten „Tres personas no vamos!“. Vasek und ich hatten Spaß.
So konnten wir uns, nach Körper- und Wäschepflege in einer winzigen Nasszelle, in der Nachbarschaft an einen gemeinsamen Einkauf machen, wir wankten müde durch die Gänge des großen Eroski und deckten uns mit Obst, zuckerarmen Keksen, Nüssen und Trinkjoghurt ein.
Nach dem Verstauen des Proviants kam unser mühevoller Abstieg in die Stadt, die voll mit Menschen war. Wir blieben an einem schönen Platz am Euskaltza India mit zahlreichen Bars rund um eine zentrale Fläche, auf der ein Clown sein Unwesen trieb.
Hier gab es leckeren Wein und noch bessere Pintxos zu genießen. Doch bald mussten wir in die Herberge zurück, bevor die schwere Stahltür schloss.
Der Schlafraum hatte keine Fenster und war voll belegt. Daher hatte sich dort schon die Luft käsig verdickt. Die meisten schliefen schon, ich nahm mir aber noch mein Tagebuch und zog mich an den Eingang zurück. Der Hospetalero kam schließlich, um die Tür zu verriegeln und nannte mich mit Blick auf das Tagebuch anerkennend einen „Amigo“.
Fazit des Tages: Trotz gegenteiliger offizieller Information hält der Camino doch mal eine kleine Bleibe für dich bereit.
Wie schade, dass ihr nicht in Larrabetzu geblieben seid. Die Herberge bzw. der Hospitalero dort waren eins meiner diesjährigen Camino-Highlights.
Ansonsten konnte ich wieder viel wiederfinden 😊