14. September 2018. Wir sahen noch mal ein Lebenszeichen von Katrin im Kloster, verstanden den Zweck der Ochsen-Arena nicht, trafen erneut den mystischen Kicher-Koreaner, bezwangen unsere Mordlust gegen Stijn und konnten doch den Abend auf der Terasse der Herberge schön weinselig abschließen.
Nach einer herrlich durchschlafenen Nacht in der schmalen, aber toll ausgestatteten Herberge lockte der Duft des Cowboy-Kaffees, den die beiden Australier mit einem Rest Kaffee aus irgend einem Winkel der Küche zusammengebrüht hatten. Allerdings vermochte mich beim näheren Hinsehen die schlammige Konsistenz des Gebräus nicht zu begeistern, und so taten es ein paar Schlucke Wasser auch.
Die nun in meinem gestrengen Auge minderqualifizierten Kaffeeköche Peter und Nico zogen uns voran und wir sahen sie noch kurz am Kloster Zanavazza, in dem gerade eine Messe stattfand. Man hörte von draußen die Gesänge der Mönche, vielleicht hatte sich auch das ein oder andere Pilgerstimmchen mit eingeschlichen. In dem Kloster ist es nämlich erwünscht, wenn man dort nächtigt, auch an den Messen teilzunehmen.
Zu eben diesen schien auch Katrin zu gehören, die sich bis hierhin durchgekämpft hatte. Wir sahen nicht sie, aber ihr leeres Zelt stand auf dem Rasenstück vor dem modernen Anbau, der wohl für die Pilgerer-Unterbringung gedacht war. Hannah wagte noch, meine Expertise anzuzweifeln, dass es sich hier unbedingt um Katrins Zelt handeln müsse, doch ich sagte ihr, dass ich dieses 20D Ripstop Silnylon Tarp Tent aus den USA schon sehr genau inspiziert hatte.
Ohne auf Katrin zu warten gingen wir also mit Stijn und Hannah als Niederländisch-Tschechisch-Deutsches Quartett weiter. Bei mir kamen die Gedanken zum Abschiednehmen und nicht Abschied nehmen können vom Vortag noch mal zu Bewusstsein und ich teilte diese Gedanken mit Hannah auf dem weiteren Wegstück. Sie arbeitet in einer Klinik, in der sie Suchtkranke betreut und ist wirklich eine sehr gute Zuhörerin.
Wir vier hatten uns schon gut aufeinander eingespielt, Phasen der teilweise tiefgehenden Unterhaltungen wechselten sich mit Phasen des Schweigens oder auch dem ein oder anderen Necken ab, ohne dass sich dies für mich komisch anfühlte, für die anderen wohl auch nicht.
Am Vormittag gab es noch leichten Regen, eher ein frischer baskischer Niesel, für den wir nicht extra unsere Ponchos und Regenjacken hervorholten, aber doch die Überzieher über die Rucksäcke zogen. Dadurch setzten wir in das graue Milieu ein paar bunte Farbtupfer.
Wir kamen durch ein paar Dörfer, in der der Kampf für die Unabhängigkeit des Baskenlandes besonders spürbar wurde. Es war ja noch nicht lang her, dass ein paar baskische Jugendliche wegen einer Kneipenkeilerei mit zwei Guardia Civil Mitgliedern außer Dienst wegen Terrorismus angeklagt und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Im gesamten Baskenland habe ich an Privathäusern keine einzige spanische Fahne gesehen, nur die baskische und die beiden Varianten der katalanischen Estelada der linken und liberalen Seperatisten.
Nach einiger Zeit trafen wir die Australier wieder, und zwar in einem Gebäude, dessen Zweck wir uns überhaupt nicht erklären konnten. Es war eine Art kleiner Halle ohne Wände, allerdings mit Kopfsteinflaster auf dem Boden. An einer längeren Seite waren Steinstufen wie bei einer Tribüne gebaut. Innerhalb des überdachten Bereichs lag ein nach eigenen Angaben 2000 kg schwerer Betonklotz mit Stahlbügeln an den Seiten, so dass man daran Seile befestigen konnte. Erst später habe ich erfahren, das dieses Gebäude für Wettbewerbe im Ochsen-Ziehen dient, bei der verschiedene Ochsengespanne von den ortsansässigen Landwirten den Stein in einer bestimmten Zeit möglichst weit ziehen müssen.
Für uns war aber eher die Wasserstelle an diesem Gebäude wichtig und wir ließen uns auf den Rängen nieder, um gemeinschaftlich Karotten zu mümmeln und Nüsschen zu knabbern. Wir ernteten verwunderte Blicke einiger spanischer Pilgerer, die in hohem Tempo vorbeiwanderten. Aber ein freundliches „Buen Camino“ erschallte trotzdem immer beiderseits.
Peter und Nico hängten sich an einen sportlichen Deutschen und liefen mit einem beachtlichen Tempo weiter. So waren wir wieder zu viert unterwegs. Es ging durch eine schöne Waldlandschaft, die zum Teil und Stellenweise ein wenig an das Sauerland erinnerte. Mittendrin dieses Kleinod:
Unsere nächste längere Pause machten wir an einer (natürlich wieder abgeschlossenen) Kirche, die aber eine Wasserstelle hatte, an der wir uns erfrischen konnten. Während wir uns etwas erholten trafen wir zunächst auf eine argentinische Pilgerin, die wir auch später fast nur mit einer Zigarette im Gesicht wieder sahen. Sie hatte eine Frisur wie Diego Armando Maradonna und trug an diesem Tag noch eine riesige hautfarbene Kniebandage. Mit meinen Knieproblemen kam ich auch auf die Idee, mir sowas zuzulegen, allerdings ergab es sich nicht weiter.
Besonders witzig war der lustige Koreaner, den wir schon am Vortag in Markina-Xemein trafen. Hier hinter Marmiz erzählte er uns kichernd, dass er sich schon zwei Mal verlaufen hätte. (Im Prinzip hatte er seine Etappe an diesem Tag fast doppelt gelaufen, weil er kurz vor dem Ziel noch einmal eine größere Strecke zurücklief.) Offenbar klappte es aber ab dann mit seiner Wegfindung, denn wir trafen ihn später in der Herberge in Gernika wieder.
Bis wir dort ankamen, ergab sich allerdings für uns eine nicht so kleine Odyssee. Stijn hatte neben der Jugendherberge noch eine andere Herberge in seinem holländischen Führer gesehen (der im übrigen der übersetzte rote Führer von Rother war) und wollte uns dorthin führen. An der Bahnschranke in Gernika trafen wir Peter und Nico wieder, die wir gleich mit in unseren Suchtrupp integrierten.
So kamen wir auch am berühmten Bild von Picasso vorbei:
Für mich hat dieses Bild eine besondere Bedeutung, da ich in Bochum an der Ruhr-Universität studiert habe. In den 80er Jahren hatte dort eine kleine Gruppe von Studenten dieses Bild ohne Abstimmung mit der Uni-Leitung an eine leere Wand der zentralen Bibliothek in einer Nacht-und-Nebel-Aktion gemalt. Dort war es noch immer zu sehen, als ich mich Anfang der 90er in Bochum im Sekretariat gegenüber dieses Bildes einschrieb. Es war also eins meiner ersten Eindrücke von meiner Alma Mater und es begleitete mich durch die gesamte Studienzeit. Später sollte eine Erweiterung an der Stelle gebaut werden, an der dieses Bild gemalt war. Die Uni-Leitung entschied sich, das Bild an einer anderen Wand wieder entstehen zu lassen. Mich hat diese Entscheidung damals sehr gefreut. Ich kann nur empfehlen, sich einmal mit der Geschichte von Gernika und der deutschen Legion Condor im spanischen Bürgerkrieg auseinander zu setzen.
Der Bogen von kriegerischen Greueltaten zu der Führung von Stijn durch halb Gernika über mehrere steile Auf- und Abstiege zu einer verschlossenen Herberge war nicht weit. Stijn hatte einfach die kleine Bemerkung überlesen dass die Schulherberge nur im August geöffnet war. Nun fürchtete er unseren Grimm, wir schluckten aber unseren Ärger herunter und liefen die Strecke zurück.
In der Jugendherberge konnten wir uns alle sechs in einem gemeinsamen Zimmer einchecken. Pro Nase kostete dies 18,- Euro inklusive Frühstück. Mit uns im Zimmer war eine Amerikanerin aus der Alaska-Gruppe, die aber zu der nicht schnarchenden Minderheit zählte und ein spanisches Pärchen. Als wir das Zimmer bezogen, bekam sie gerade von ihm eine Rückenmassage verpasst. Mit den dreien ergaben sich aber keine weiteren Gespräche, anscheinend hatten sie auch gemerkt, dass wir schon ein fest zusammengeschweißter Haufen waren.
Nach dem Duschen und Wäsche waschen (bei letzerem half ich dem alaskanischen Superschnarcher bei der Bedienung der Waschmaschine) gingen wir noch einmal auf Sightseeing nach Gernika, um die historische Eiche zu sehen, an der der baskische Ministerpräsident immer seinen Amtseid ablegen muss.
Die Australier machten bei diesem Anblick aus ihrem Herzen keine Mördergrube und riefen laut aus: „Hey, it’s only a log!“. Angesichts des dicken Holzknüppels unter einem Baldachin entwickelten sie also keinerlei andächtige Stimmung. Auch mir liefen jetzt keine kalten Schauer den Rücken herunter.
Kurzum, es war an der Zeit, sich um wichtigere Dinge zu kümmern. Wir gingen auf dem Rückweg an einem Supermarkt vorbei und deckten uns mit Wein, Knabberkram und frischen Früchtchen ein. Danach suchten wir wieder als Quartett ein Restaurant. Ich hatte persönlich keine Lust auf eine opulentes Essen und auf die weitere Überlastung meines Tagesbudgets und beließ es bei einer Cola light. Die anderen hauten aber bei einem Pilger-Menü für 12 Euro ordentlich rein.
Zurück in der Herberge versammelten wir uns zu sechst plus dem Katalanen aus Barcelona, der in Bolibar im Bett neben mir geschlafen hatte, um einen Tisch, um die drei leckeren Flaschen Rotwein zu vernichten.
Wir tranken aus gläsernen Teetassen, die eigentlich für das Frühstück bestimmt waren und ließen uns weder von irgend einer Etikette noch von den Horden von Kindern, die auf einmal die Terrasse bevölkerten und mit Essen versorgt werden mussten, stören.
Da alle so ziemlich angeschickert waren, war es ein lustiger Abend, der letzte, an dem wir die beiden Australier sahen. Sie wollten ihren Camino in Bilbao am nächsten Tag beenden und brachen relativ früh auf.
Fazit des Tages: Falsche Wege können manchmal am Ende zum richtigen Ziel führen.
Ein Gedanke zu “Camino de la Costa 08: Von Bolibar nach Gernika (19,4 km)”