25. September 2018: Wir geraten vom rechten Wege ab, weil eine amerikanische Pilgerin mit einer kleinen Muschi spielt. Patrizia ‚Bellavista‘ performt wieder wie gewohnt. Unser Credencial wird besiegelt und ich stelle etwas wichtiges kalt.
– Für Vita –
Eine Anmerkung vorweg: Es ist jetzt über ein Jahr her, dass dieser Artikel erscheinen sollte. Ich befand mich zu der Zeit auf einem Symposium meines Pfadfinder-Stamms. Wir hatten die Besprechungen abgeschlossen und ich freute mich darauf, diesen Artikel noch einmal zu redigieren und ein paar weitere Sätze hinzuzufügen. Da erhielt ich einen Anruf, in dem mir mitgeteilt wurde, dass bei meiner Schwägerin der Krebs zurückgekehrt war. Medizinisch gab es keine Möglichkeiten mehr, das letzte Kapitel dieses Dramas war aufgeschlagen. Seit dem hatte ich keine Lust mehr auf diesen Blog. Es wird aber nun wieder weitergehen. Ich widme diesen und die weiteren Artikel einer viel zu früh verstorbene Frau, deren Name „Leben“ bedeutet und die immer volller Leben für sich und andere war.
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Später Aufbruch – was auch sonst …
Wir schliefen in dem mal wieder eng bestückten Raum der an sich sehr gemütlichen Herberge in Buelna bis 7:00 Uhr. Das war natürlich eine Zeit, zu der die meisten anderen schon unterwegs waren. Wir nahmen uns aber noch weitere Zeit, unser karges Frühstück einzunehmen. Das bestand aus krachend harten Brotstücken mit Margarine und Marmelade. Dazu Kekse und ein Café con Leche, immerhin.
Los ging es mit den drei Braunschweigern Matthias, Uwe und Friderike sowie der Schwarzwälderin Patrizia im Gefolge über den mal wieder traumhaft schönen Küstenweg. Das italienische Pärchen war uns voraus, ebenfalls die Wahl-Bad-Homburgerin mit iberischen Wurzeln.
Kleine Sünden straft der Herr sofort
Schon wie am Tag zuvor hatte Vasek die Befürchtung, wieder auf die Amerikanerin Chelsea zu treffen, die ihn mit ihrem grippalen Infekt schon angesteckt hatte. Nach einer Weile mit tollen Ausblicken kamen wir zu einem Strand. Da saß auf einmal die besagte junge Dame am Straßenrand und spielte mit einem kleinen Kätzchen.
Mit schmutzigen Wort-Assoziationen rund um das Thema „Pussy“ und breitem Grinsen zogen wir stinkefreundlich grüßend an ihr vorbei und liefen strammen Schrittes völlig falsch auf die Nationalstraße, anstatt dem eigentlichen Camino zu folgen. So bedurfte es einiger Navigationstricks mit Smartphone und gelbem Buch, bis wir wieder auf den rechten Pfad zurückkamen. Damit hatten wir die Freude, wieder alle bekannten Leute vor uns zu haben und diese mit Blick in fragende Gesichter überholen zu können.
Echte Wanderfreuden
Es war ein herrlich milder Wandertag, den wir wirklich mal genießen konnten. Wunderschöne entzückende Bergrücken zur Linken und der Rausch der rauschenden Brandung zur Rechten. Da lachte das Pilgerherz aus vollem Halse. Das der schön frei blieb, das war auch ein Verdienst der duftenden Eukalyptus-Bäume, die nun zahlreicher auftauchten.
Selbstverständlich trafen wir Patrizia an einem schönen Aussichtspunkt wieder. Wären wir auf dem Apalachian Trail zwischen Georgia und Maine in den USA unterwegs gewesen, dann hätte sie sich spätestens an diesem Tage den Nickname „Bellavista“ wahrlich verdient. Vielleicht gibt es ja irgendwann auch mal auf den Caminos die Tradition, den Pilgerinnen und Pilgern lustige Wandernamen zu verpassen. Dann möchte ich diesen besagten Tag als den Startpunkt dafür fixiert und gesetzt sehen.
Vasek und ich nahmen uns die Zeit, ein wenig zu verschnaufen. Er war schon ein wenig von seinem Infekt mitgenommen und brauchte die Pause deutlich dringender als ich. So reduzierte ich meine Anstrengungen für eine doch längere Zeit, einen gelben Farbtupfer in die „fifty shades of green“ der Asturischen Küstenlandschaft zu setzen.
Bei Vasek deutete sich leider schon an, dass die weitere Strecke relativ mühsam für ihn sein würde und er hatte sich dann auch am Abend relativ schnell zurückgezogen und flachgelegt.
Nach und nach wurde es auch wieder deutlich wärmer, um nicht zu sagen wieder richtig heiß. Aber die schönen Panoramen konnten uns dafür immer wieder entschädigen.
Allmählich setzte dann die Schmacht nach Koffein in der Darreichungsform eines leckeren Café con Leche wieder ein. So setzten wir unsere Hoffnungen auf den kommenden ersten Ort. In Andrin trafen wir kurz wieder auf die mehr als nette Verena, leider allerdings nicht auf eine noch nicht mal nette Bar. So trugen wir nach einen weiteren Anstieg unseren Café-Durst weiter gen Westen.
Oben angekommen bot sich uns der Blick auf eine wunderschöne und (fast) menschenleere Badebucht.
Statt in den Fluten des Atlantik badeten wir weiter im eigenen Saft, um möglichst zügig weiter nach Llanes zu kommen, und um uns dort mit einem leckeren Mittagessen und frischer Barschaft vom Geldautomaten zu versorgen.
Endlich in Llanes und schnell wieder weg
Wir waren lange oberhalb der Stadt unterwegs. Immer wieder kamen Linkskurven, die uns wieder weiter von der Stadt wegführten und unsere Geduld doch gehörig strapazierten. Zudem standen wir immer in der Gefahr, von einem Golfball getroffen und zu einem Kollateralschadensfall des örtlichen Golfplatzes zu werden. Aber endlich kam dann doch ein steiler Abstieg – wie konnte es anders sein – bis herunter an den Stadtrand. Hier lauerten hübsche pitoreske Häuschen wie das folgende auf unseren Blick.
In Llanes besorgte ich mir frisches Geld – und das auch noch gebührenfrei, was ich gebührend beim anschließenden Essen feierte. Davor konnten wir einige Exponate eines Straßenkünstlers bewundern. Allerdings passte solch ein ausladendes Ölgemälde vom Packmaß her nicht ganz zu meinem Rucksack.
In der Stadt huschten wir noch kurz bei einem Supermarkt vorbei, um extrem schwere Pfirsiche zu kaufen. Dazu noch die dunkle Kraft eines spanischen Duschgels mit dem vielsagenden Namen „Dark Power“. Irgendwie passend zu meinem Sith-Lord-Poncho, wenn auch die gleichzeitige Nutzung später unter der Dusche nicht so recht sinnvoll gewesen wäre.
Wir liefen lange auf der Suche nach Speis‘ und Trank hin und her, keines der Restaurants konnte uns vom äußeren Anschein wirklich überzeugen. So zuckten wir mit den vom Rucksack belasteten Schultern und zogen uns eine scheußliche Pizza Quattro Formaggi rein. Frei nach einem alten Slogan von Asbach Uralt: Wenn einem solch‘ Mieses wiederfährt, das ist schon einen Sodbrand wert. Mit dieser Erkenntnis verließen wir Llanes recht frustriert.
Tolle Unterkunft in Póo
Danach waren wir ziemlich schnell in Póo, fanden aber die Albuerge la Cambarena nicht. Sie war auch nicht bei den Leuten bekannt, die wir fragten. Hier brauchte unser gelber Reiseführer noch einen kleinen Bugfix. Also schnell zur Albuerge Playa de Póo, die wirklich schön ist (sie ist eine Art Öko-Projekt-Herberge!), aber 17 oder 21 Euro kostete. Wir bekamen die letzten Betten für günstigeren 17, die beiden letzten Plätze für 21 Euronen waren kurz danach weg.
In der Herberge waren mit Patrizia (natürlich gab es vom Haus aus einen schönen Blick auf die Berge), Gregor aus Hannover und Verena mit ihrem Hut wieder liebe bekannte Gesichter anwesend. Wir brachten unsere Sachen auf das Zimmer und ließen uns vom introvertierten Hospitalero keinen Stempel, aber ein echtes rotes Siegel in den Pilgerpass drücken. Danach war für Vasek Schicht im Schacht. Er verlegte sich ins Bett und darauf, aus diesem auch bis zum Morgen nicht wieder aufzustehen.
So unterhielt ich mich mit den anderen auf der Terasse der Albuerge und genoss den kühlen Abendwind, der mit den bereitliegenden Wolldecken und Handtüchern abgewehrt werden konnte. Eine junge deutsche Pilgerin kam plötzlich noch nach einer gelaufenen Strecke von 30 km bei der Herberge an und wurde mit ihrer koreanischen Bekannten, die später eintraf, leider freundlich, aber bestimmt abgewiesen. Der Hospitalero verwies auf die gesetzlichen Regelungen und dass es sonst Probleme mit der Polizei geben würde. Die beiden mussten somit wieder nach Llanes zurück. Die Deutsche war mega gefrustet, zusätzlich waren ihr zuvor 400 € gestohlen worden, was mich ziemlich schockierte.
Meine Erwartung war und ist, dass es unter den Pilgern eine Art Kodex geben sollte, sich gegenseitig zu helfen und nicht das absolute Gegenteil zu tun. Ich versuchte, ihr mit meinem Tarp und der Isomatte für die Nacht zu helfen, aber sie lehnte ab und zog von dannen. Für mich war es eine der Personen, denen ich eine gute Ankunft in Santiago mehr als wünschte.
Jetzt musste ich mich aber um mich kümmern, immerhin war es der letzte Tag, an dem ich noch ein UFÜ war, also unter Fünfzig. Dies wollte ich in einem bescheidenden Rahmen mit überschäumenden Getränken feiern und machte mich auf den vom Hospitalero gewiesenen Weg durch das Dorf. Am Ende besorgte die einzige Flasche Cava, die es im Ort in einem hutzeligen Tante-Emma-Laden zu kaufen gab und trug sie erwartungsvoll mit leerem Magen in die Herberge zurück.
Den Tag gemütlich ausklingen lassen
Am Abend gab ich mich dem Genuss eines Omeletts hin, das von frischen Eiern des unweit anwesenden Federviehs der Albuerge stammte. Wir saßen noch als ein illustres Grüppchen zusammen. Mit einem erfahrenen Pilger aus Polen, der in kurzer Hose in der Abendkühle gar nicht fror und wärmstens den Camino Frances empfahl. Plus einem deutschen Bergwanderer, der die Höhen und Tiefen der Umgebung schon abgeklappert hatte und nicht auf den Camino scharf war. Zusätzlich Gregor, der sich einen Cidre auf Asturische Art kredenzen ließ und seine Wanderschuhe von Meindl lobte. Weiterhin mit der schon etwas älteren deutschen Pilgerin Monika, die mich etwas an Cher erinnerte, um so stärker sofern die Sängerin souverän zu ihren ergrauten Haaren stehen würde. Und schließlich mit Verena, die mit zitternder Stimme die Vorteile ihrer beiden naturbelassenen Pilgerstäbe darstellte.
Patrizia hatte sich nach drinnen zurückgezogen und verbrachte ihre Zeit mit einem längeren Telefonat. Vasek lag weiterhin krank im Bett. Irgendwie hatte die kühlere Luft den Rest an Energie aus seinem Körper gezogen und der blieb nun fest im Stand-By-Modus. Noch kurz vor dem Toresschluss der Küche stellte ich noch schnell meine Flasche Cava kalt, die am kommenden Tag zu dem besonderen Anlass meines runden Wiegenfestes geöffnet werden sollte.
Fazit des Tages: Nicht nur Scharfschützen wissen, es ist sehr schön, nette Menschen zu treffen. Es ist allerdings noch schöner, dies erneut zu tun.